Der neue HVM
Im Praxisinformationsdienst Nr. 19 vom 23.09.2021 hat die KV Berlin ihre Mitglieder erstmals ausführlicher über den Übergangs-Honorarverteilungsmaßstab (HVM) für das Jahr 2022 informiert. Ein Gastbeitrag von Medizinrechtsanwalt Dr. Ronny Hildebrandt, BUSSE & MIESSEN Berlin

Mittlerweile ist der Übergangs-HVM 2022 auch auf der Homepage der KV Berlin abrufbar:
https://www.kvberlin.de/fileadmin/user_upload/rechtsquellen/hvm_2022_quartal1_lesefassung.pdf
Am 29.10.2021 veranstaltet die KV Berlin von 14:00 bis 16:00 Uhr einen Videovortrag als Livestream, zu dem sich die KV-Mitglieder noch bis zum 26.10.2021 unter folgendem Link anmelden können:
https://www.kvberlin.de/fuer-praxen/aktuelles/-seminare/detailanischt/livestream-211029
Im Folgenden habe ich für Sie die Kernaussagen aus dem PID Nr. 19 analysiert, kommentiert und mit praktischen Tipps versehen:
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Die wichtigste Änderung
: Für alle vier Quartale in 2022 erhalten Praxen ein festes Budget, das sogenannte Praxis-Euro-Volumen (PEV). Dieses Budget basiert auf dem RLV-/QZV-Budget, dass einer Praxis im 4. Quartal 2021 zugewiesen wird – jedoch gewichtet durch einen quartalsspezifischen Anpassungsfaktor, der je Versorgungsbereich (Haus- und Fachärzt:innen) zu berechnen ist.“
Kommentar
: Die Umstellung auf ein „festes Budget“ stellt einen Systemwechsel dar. Veränderungen der individuellen Fallzahlen und der fachgruppenspezifischen Fallwerte spielen für die Höhe des Budgets (zumindest) im Jahr 2022 keine Rolle (mehr). Entscheidend ist allein die Höhe des der Praxis/dem MVZ zugewiesenen RLV/QZV für das Quartal IV/2021
. Dieses Budget wird einfach in die Quartale des Jahres 2022 „kopiert“. Beim PEV handelt es sich damit letztlich um ein Individualbudget
, was viele von Ihnen noch aus den Jahren 2003 bis 2008 kennen dürften.
Praxistipp:
Alle Praxen und MVZ sollten die RLV/QZV-Zuweisung für das Quartal IV/2021 daher genauestens prüfen und ggf. Widerspruch einlegen (lassen). Denn: Je höher RLV und QZV für IV/2021 sind, desto höher werden auch die Budgets in den Quartalen des Jahres 2022 ausfallen!
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Was bleibt wie bisher?
Das PEV muss genauso mit Leistungen gefüllt werden wie das bekannte RLV-/QZV-Budget. Alle Leistungen bis zur Obergrenze des PEV werden zu den Preisen des EBM voll bezahlt. Alle Leistungen, die oberhalb des PEV erbracht werden, sind lediglich mit einem abgestaffelten Punktwert zu vergüten.“
Kommentar
: Ergänzend sei angemerkt, dass Überschreitungen
und Unterschreitungen
weiterhin zwar innerhalb der Versorgungsbereiche, nicht aber zwischen der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung verrechnet werden können. Auch insoweit ändert sich also nichts.
Was ebenfalls bleibt, ist der Kooperationszuschlag
in Höhe von 10 % für fachgleiche Praxen mit angestellten Ärzten, BAG und MVZ sowie bis zu 30 % für fachübergreifende Einrichtungen.
Der Kooperationsgrad, der für die Höhe des Kooperationszuschlages bei fachübergreifenden Einrichtungen ausschlaggebend ist, wird für 2022 quartalsweise berechnet.
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Kann das für 2022 zugewiesene Budget noch beeinflusst werden?
Nein, denn das RLV-/QZV-Budget für das 4. Quartal 2021 errechnet sich noch anhand von Parametern des Vor- und Vorvorjahresquartals. Mit anderen Worten: Was auch immer an Leistungen im 4. Quartal 2021 erbracht wird, hat auf die PEV in 2022 keinen Einfluss. Aber: Die Budgetzuweisung allein macht nicht das Honorar einer Praxis aus. Die letzten Quartale haben gezeigt, welche wichtige Rolle die Erbringung von TSVG-Leistungen (Neupatienten, offene Sprechstunde, Hausarzt-Vermittlungsfall, TSS-Terminfall) am Gesamthonorarumsatz einer Praxis spielen kann. Diese Leistungen werden extrabudgetär – also außerhalb der RLV/QZV- und zukünftig auch außerhalb der PEV-Zuweisung – vergütet. Praxen sollten alle Leistungen weiterhin wie gewohnt erbringen und abrechnen.“
Kommentar
: Das RLV/QZV für das Quartal IV/2021 wird konkret auf Basis der im Quartal IV/2019 abgerechneten RLV-Fallzahlen unter Abzug der im Quartal IV/2020 abgerechneten TSVG-TSS-Akutfälle berechnet. Letzteres ist nach unserem bisherigen Eindruck jedoch zu vernachlässigen.
Die Anknüpfung an die im Quartal IV/2019 abgerechneten RLV-Fallzahlen ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch:
1. In vielen Fällen ist das vierte Quartal eines Jahres aufgrund der Weihnachtsfeiertage eher ein schwaches Quartal
. In derartigen Fällen ist es rechtlich bedenklich, im Rahmen der Zuweisung von BEV, PEV und ZEV für das gesamte Jahr 2022 auf ein eher unterdurchschnittliches Budget als Basis abzustellen. Das gleiche Problem ergibt sich, wenn speziell das Quartal IV/2019 unterdurchschnittlich ausgefallen ist, weil z.B. Praxisinhaber oder angestellte Ärzte krankheitsbedingt länger ausgefallen sind.
Praxistipp
: Wenn Ihre Praxis/Ihr MVZ im vierten Quartal eines Jahres aufgrund feiertagsbedingter Praxisschließzeiten stets unterdurchschnittlich abrechnet oder speziell im Quartal IV/2019 z.B. krankheitsbedingte Einbußen zu verzeichnen hatte, könnte sich ein Antrag auf Heranziehung eines anderen Basisquartals als durchaus erfolgversprechend erweisen.
2. Überdurchschnittliche Praxen
, die durch die Bereinigung von „TSVG-Neupatienten“ im Quartal IV/2019 unter die fachgruppendurchschnittlichen RLV-Fallzahlen gerutscht sind, konnten diese im Nachhinein wieder maximal auf den Fachgruppendurchschnitt des Quartals IV/2020 steigern. Dadurch, dass im Fachgruppendurchschnitt allerdings nunmehr die durchschnittlichen TSVG-Fallkonstellationen bereinigt sind, wird das Budget traditionell überdurchschnittlicher Praxis in rechtlich bedenklicher Art und Weise auf den für sie eigentlich viel zu niedrigen, bereinigten Fachgruppendurchschnitt gedeckelt.
Praxistipp
: Auch hier könnte ein Antrag auf Ausnahmeregelung Abhilfe schaffen.
3. Der niedrige Deckel des „bereinigten Fachgruppendurchschnitts“ trifft diejenigen Ärzte, die sich in den letzten acht Quartalen neu niedergelassen
oder eine unterdurchschnittliche Praxis
übernommen
haben, besonders hart. Diese Ärzte werden dadurch gleich doppelt „bestraft“, da sie in den ersten acht Quartalen keine TSVG-Neupatientenfälle extrabudgetär abrechnen können, aber dennoch auf den Fachgruppendurchschnitt abzüglich der durchschnittlichen TSVG-Neupatientenfälle der Arztgruppe gedeckelt sind. Der Zuschlag auf den RLV-Fallwert in Höhe von 2 €, der über das „QZV“ Nr. 200 erfolgt, vermag in den meisten Fällen nicht annähernd für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen.
Praxistipp
: Praxen/MVZ, die das QZV Nr. 200 erhalten, sollten darauf bestehen, dass die KV prüft, ob ein Budget in Höhe des Fachgruppendurchschnitts ohne Bereinigung der durchschnittlichen TSVG-Neupatientenfälle für sie günstiger ist, als der 2-€-Fallwertzuschlag.
Dass das Leistungsgeschehen im Quartal IV/2021 überhaupt keine Rolle für die Höhe des Budgets im Jahre 2022 spielen wird, ist zudem auch nicht ganz zutreffend. Denn bezüglich QZV-Leistungen
ist vorgesehen, dass ein entsprechendes Budget auch dann für 2022 zugewiesen wird, wenn zwar das entsprechende QZV für das Quartal IV/2021 nicht zugewiesen wurde, in diesem Quartal aber entsprechende Leistungen abgerechnet worden sind. Wer sich gerade mit dem Gedanken trägt, weitere QZV zu erschließen (z.B. durch Erwerb von Zusatzqualifikationen), sollte damit (möglichst) nicht bis 2022 warten!
- Unklar bleibt zunächst die Umsetzung des erlaubten Wachstums auf den Fachgruppendurchschnitt für sog. Altpraxen
, also Praxen, die bereits länger als zwölf Quartale an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Der Übergangs-HVM 2022 regelt hier nur, dass diese Wachstumsmöglichkeit im Folgejahresquartal „unberührt bleibt“. Wie und unter welchen Voraussetzungen das entsprechende Wachstum tatsächlich gewährt wird, bleibt komplett offen.
- Fachübergreifende Praxen, BAG und MVZ sehen sich hingegen mit dem Problem konfrontiert, dass dem Vernehmen nach in sog. „Mischfällen“
, also in Behandlungsfällen, in denen ein Patient im selben Quartal in derselben Einrichtung sowohl als TSVG-Fall (z.B. Neupatient des Orthopäden) als auch als Regelleistungsfall (z.B. Radiologe) behandelt wurde, nicht ein halber, sondern ein ganzer TSVG-Fall aus den RLV-Fällen bereinigt worden ist. Wen dem tatsächlich so wäre, dürfte auch dies rechtlich problematisch sein, zumal dann, wenn dies in 2022 einfach fortgeschrieben werden soll.
- Sollte sich die Zusammensetzung Ihrer Praxis bzw. Ihres MVZ
seit 2019 verändert haben, müssten Sie den RLV/QZV-Zuweisungsbescheid IV/2021 bitte ganz besonders gründlich prüfen. Denn in derartigen Konstellationen ist es bereits häufiger vorgekommen, dass RLV-Fälle der ausgeschiedenen Ärztin bzw. des ausgeschiedenen Arztes einfach unter den Tisch gefallen sind.
- Für im Quartal IV/2021 unbesetzte Arztstellen
besteht ebenfalls Handlungsbedarf, da Ihnen für diese kein Budget zugewiesen wird. Hier sollte am besten ein Vertreter bestellt, andernfalls ein Antrag auf Übertragung der RLV/QZV-Fallzahlen auf einen fachgleichen Arzt der Praxis bzw. des MVZ gestellt werden.
- Für alle Praxen, die sich in einem Verwaltungsbezirk mit einem Versorgungsgrad von weniger als 100 % gemäß letter of intent befinden, besteht zudem die Möglichkeit, mit dem Budget sogar über den Fachgruppendurchschnitt zu wachsen. Diese Möglichkeit bleibt auch in 2022 erhalten, setzt aber einen entsprechenden Antrag voraus.
„Bei der RLV-Zuweisung für das 4. Quartal 2021 ist ein Rechenfehler aufgetreten. Im Rahmen der Zuweisungen wurden zu viele Fälle berücksichtigt mit entsprechend Auswirkung auf den Fallwert. Innerhalb der nächsten zwei Wochen wird Ihnen ein Korrekturbescheid zugehen.“
Praxistipp : Die Änderung des RLV/QZV IV/2021 bietet Ihnen (erneut) die Möglichkeit, binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang des Änderungsbescheides Widerspruch einzulegen. Obschon sich die KV Berlin bekanntermaßen bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist bzgl. des Honorarbescheides nicht auf die Bestandskraft des Zuweisungsbescheides beruft, sollte hier innerhalb der Widerspruchsfrist gegen den Änderungsbescheid interveniert werden, da es eben nicht nur um die Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen im Quartal IV/2021 geht, sondern auch um die Höhe des Budgets für (zumindest) das Jahr 2022. Insoweit dürfte wohl jeder von Ihnen ein Interesse daran haben, schnellstmöglich von der KV zu erfahren, mit welchem PEV, BEV und ZEV Sie ab dem 01.01.2022 rechnen können.
Dr. Ronny Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
buero.hildebrandt@busse-miessen.de
https://www.busse-miessen.de/anwaelte/dr-ronny-hildebrandt/









