„Wir waren ernüchtert“
Drei Söhne eines hessischen Landarztes machen sich auf, das Thema Praxisnachfolgen auf dem Land anders anzugehen. Wir sprachen mit Tobias Fleischhut von landarzt-sein.de.

Wir haben Praxis:
Wie kam es zur Idee zu diesem Projekt
?
Tobias Fleischhut:
Die Projektidee kam uns drei Brüdern, vor etwa eineinhalb bis zwei Jahren. Unser Vater, selbst Landarzt seit fast 30 Jahren im beschaulichen Nordhessen, sucht seit längerem einen Nachfolger und ist resigniert. Er war nie dem Glauben verfallen, dass er das, was er damals für seinen KV-Sitz hat bezahlen müssen wieder bekommt. Aber da ihm sehr viel an seinen Patienten liegt, wünschte er sich, dass sein Sitz möglichst langfristig weitergeführt wird. Er bezahlte viel Geld für Inserate, war auf einigen Veranstaltungen von der KV – aber geholfen hat nichts so richtig.
Wir wollten helfen und haben uns mal schlau gemacht, was es zu dem Zeitpunkt für Möglichkeiten gab. Long story short: wir waren ernüchtert. Es gibt eine Vielzahl an Praxisbörsen. Die sind aber entweder nicht besonders schön oder nicht besonders nutzerfreundlich. Und wenn sie beides sind, sind sie sehr teuer. Außerdem sind so gut wie alle Praxisbörsen zum einen räumlich in verschiedenen Regionen limitiert und zum anderen wird die Region in den seltensten Fällen wirklich vorgestellt. Wir stellten uns also vor, was wir gerne wüssten (gemäß dem Fall wir wären Mediziner), um uns irgendwo niederzulassen. Oder zumindest was wir sehen müssten, damit wir uns für die ein oder andere Praxis interessieren. Herausgekommen ist unsere Seite www.landarzt-sein.de. Mittlerweile nicht mehr nur Praxisbörse, sondern Marketingplattform für Regionen und Orte und Matchingportal für Praxen und Ärzte.
Wir haben Praxis:
Apropos Praxisbörsen. Deren Anzahl ist ja zweistellig. Woran hapert es bei diesen Börsen noch?
Tobias Fleischhut:
Reicht zweistellig? Es sind auf jeden Fall zu viele. Dass die Börsen nicht besonders schön und nicht besonders nutzerfreundlich sind, ist nur ein Teil der Wahrheit. Viel größer ist das Problem, dass es kaum Praxisbörsen gibt, die wirklich deutschlandweit agieren und dass die Regionen und Orte zu wenig eingebunden sind. Außerdem werden unserer Meinung nach die jungen Ärzte, die eine Praxis übernehmen könnten, viel zu wenig angesprochen.
Wir haben Praxis:
Ist die Praxis Ihres Vaters mittlerweile übergeben?
Tobias Fleischhut:
Nein, leider noch nicht. Wir hatten zwei vielversprechende Matches, die sind allerdings an der zeitlichen Vorstellung gescheitert. Aber zwei Ansprechpartner sind auf jeden Fall mehr als gar keiner, wie es vorher war. Wir halten die Ohren weiter offen und sind überzeugt, je mehr Nutzer wir bekommen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Nachfolger findet!
Wir haben Praxis:
Was halten Sie von Landarztquoten?
Tobias Fleischhut:
Grundsätzlich ist es super, dass was getan wird. Das Konzept ist unserer Meinung nach nicht weit genug gedacht. Wir haben in zwei Blogeinträgen dazu Stellung bezogen ( 02_2021 - Landarztquote BaWü
& 01_2022 - Landarztquote Hessen
). Das größte Problem ist, dass sich akut erstmal nichts ändert. Bis die Landarztquote Früchte trägt vergehen gut und gerne 10-15 Jahre. Bis dahin sollte aber vor allem versucht werden, den Beruf wieder attraktiver zu machen, Förderungen auszusprechen und Freiräume zu schaffen. Im ländlichen Bereich kommen Hausärzte beispielsweise oft in Budgetierungsnöte, weil es kaum Fachärzte gibt…
Wir haben Praxis:
Wie beurteilen Sie die Arbeit der KVen in Sachen Praxisnachfolgen?
Tobias Fleischhut:
Ich glaube uns steht es nicht zu, darüber wirklich zu urteilen. Vor allem nicht pauschal. Es gibt sicherlich KVen, die mehr machen als andere. Die KVen sind als Körperschaft öffentlichen Rechts für uns leider nicht erreichbar, weil diese verständlicherweise nicht mit Privatunternehmen arbeiten können bzw. diese nicht beauftragen können. Das Interesse ist offensichtlich trotzdem da, weil wir mit einigen KVen bereits im Austausch gestanden haben. Alle finden die Idee und das Portal wirklich gut, können uns aber nur bedingt bzw. gar nicht unterstützen. So wird es also dabei bleiben, dass alles etwas langsamer vonstatten geht, als es eigentlich sollte.
Wir haben Praxis:
Braucht es auch (berufs-)politische Entscheidungen wie vereinfachter Zugang zum Medizinstudium, unkompliziertere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, verstärktes Anwerben ausländischer Ärzte und Ärztinnen, um das Ärztemangel-Problem zu beseitigen?
Tobias Fleischhut:
Der vereinfachte Zugang zum Studium ist ja gerade im Aufbau durch die oben angesprochene Quote. Generell ist hier die Frage, was vereinfacht bedeutet. Den NC zu senken und somit Abiturienten den Zugang zu erleichtern, ist absolut nicht zielführend. Menschen mit Ausbildung und Berufserfahrung in Gesundheitsberufen wie bspw. der Pflege, im Rettungsdienst oder in den verschiedenen Therapiebereichen (Ergo, Physio…) eine Möglichkeit geben, vielleicht auch ohne Abitur das Medizinstudium zu starten, könnte eventuell hilfreich sein. Vor Studienbeginn ein verpflichtendes und längeres Praktikum zu machen (vielleicht sogar deutschlandweit ein FSJ durchführen zu lassen oder ähnliches), wo junge Menschen vielleicht schon merken, dass es nichts für sie ist, könnte auch helfen, Studienplätze freizuhalten. Ansonsten wie oben kurz angesprochen müssen Hürden gesenkt werden, Finanzierungslücken geschlossen und der Beruf auf dem Land an sich attraktiver gemacht werden.
Generell sollte der Zugang vereinfacht werden – absolute Zustimmung. Sehr gute Freunde von mir warten schon seit fast einem Jahr darauf, dass er als fertig ausgebildeter Orthopäde eine Arbeitserlaubnis erhält und seine Anerkennung über weitere 2-3 Jahre beginnen kann. Sie werden immer wieder vertröstet und es scheitert unter anderem daran, dass eine (!!) Person auf irgendeinem Amt langfristig krank ist und keiner sonst die Aufgaben übernehmen kann. Das ist traurig.
Das proaktive Anwerben dieser Ärzte selbst sehe ich kritisch. Zum einen werden den Heimatländern fähige Mediziner und anderes Fachpersonal entzogen, was langfristig schwere Folgen haben kann. Zum anderen kann es auch nach hinten losgehen, rein extrinisch motivierte Ärzte aus fernen Ländern in so wichtige Bereiche wie die landärztliche Versorgung zu drücken.









